Gleiche Chancen für alle?

Chancengerechtigkeit im Bildungsbereich ist leider nach wie vor Zukunftsmusik. Aktuelle Untersuchungen belegen einen immer engeren Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Herkunft und Bildungserfolg. Herkunft, Bildung und sozialer Status der Eltern entscheiden nach wie vor über den Schul- und Bildungserfolg der Kinder.

Neben flächendeckenden Ganztagsschulen zur Schaffung besserer Lernbedingungen für alle Kinder sowie einer späteren Bildungswegselektion wird vor allem auch immer wieder ein Chancenindex diskutiert bzw. von Arbeiterkammer, Diakonie oder auch Grünen, NEOS und SPÖ konkret eingefordert.
Das hieße, dass Brennpunktschulen, also Schulen mit besonderen Standortherausforderungen, bedarfsorientiert mehr Budget erhalten, um diese Herausforderungen auch bewältigen und all ihren Schüler:innen die gleiche Chance auf Bildung gewährleisten zu können.

Deutschland startet Programm für Chancengleichheit

In Deutschland ist es nun seit diesem Sommer so weit. Im Rahmen des sogenannten Startchancen-Programmes erhalten Schulen mit einem hohen Anteil an sozial benachteiligten Schüler:innen in den kommenden zehn Jahren Zusatzförderungen in einer Gesamthöhe von 20 Milliarden Euro, um den Bildungserfolg mittel- und langfristig von der sozialen Herkunft zu entkoppeln.

Rund 12 % aller deutschen Schulen haben Anspruch auf diese zusätzliche Förderung, die zur Hälfte vom Bund und zur Hälfte über die Länder finanziert wird. Das heißt, dass rund 4.000 Schulen in besonders schwieriger Lage zusätzlich Geld erhalten, um sozioökonomisch bedingte Bildungsbenachteiligungen Zug um Zug abzubauen. Gestartet wurde am 1. August mit 2.125 Schulen, bis zum Schuljahr 2026/27 soll die Gesamtzahl von 4.000 Schulen erreicht sein. Ein besonderer Schwerpunkt des Startchancen-Programmes liegt auf dem Grundschulbereich, rund 60 % des Gesamtbudgets sind dafür vorgesehen.
Ziel ist einerseits die Stärkung der Grundkompetenzen, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, sowie andererseits die gezielte Förderung der Persönlichkeitsentwicklung der Schüler:innen. Um die Fördergelder gerecht zu verteilen, wurde für jedes Bundesland ein Sozial-Index ermittelt, der einerseits den Anteil an Schüler:innen mit Armutsgefährdung bzw. Migrationshintergrund berücksichtigt, andererseits das jeweilige Bruttoinlandsprodukt.
Die tatsächliche Verteilung der Mittel an die einzelnen Schulen erfolgt direkt durch das jeweilige Bundesland. Ein transparenter Kriterienkatalog macht diese nachvollziehbar und stellt auch die Bedarfsorientierung sicher.
Die Verwendung der Fördergelder an jeder Schule ist zweckgebunden. 40 % müssen in die Schaffung einer zeitgemäßen, förderlichen Lernumgebung fließen, also in Infrastruktur und Ausstattung. Je 30 % stehen für bedarfsgerechte Lösungen in der Schul- und Unterrichtsentwicklung sowie zur Zusammenstellung multiprofessioneller Teams an den Schulen zur Verfügung.
Eine durchgehende wissenschaftliche Begleitung und Evaluierung des Programmes soll sicherstellen, dass das Startchancen-Programm die bestmögliche Wirkung erzielt und Chancenungleichheiten so effektiv und nachhaltig wie irgend möglich abgebaut werden.

Der Status quo in Österreich

Auch österreichische Expert:innen befürworten Initiativen wie das Startchancen-Programm. Hauptgrund ist, weil Schulen, die vor besonderen Herausforderungen stehen, für deren Bewältigung auch dringend zusätzliche finanzielle Mittel benötigen.
Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist aber auch eine bessere soziale Durchmischung an den Schulen. Erhalten Schulen mit mehr Kindern mit Migrationshintergrund bzw. Armutsgefährdung zusätzliches Geld für konkrete Schulentwicklungsmaßnahmen zu deren Förderung, so wird deren Aufnahme auch für Schulen attraktiver, die bis dato wenig bis gar keine sozial benachteiligte Schüler:innen aufgenommen haben. Die Einführung eines Chancenindex wäre also gleichzeitig auch wirksame Maßnahme gegen soziale Segregation an unseren Schulen.

© scott-webb – unsplash

Rund 346.000 aller Kinder und Jugendlichen in Österreich besuchen Schulen mit großen bis sehr großen Herausforderungen. 2018 befanden sich 14 % aller Volksschulen in schwieriger Lage. Diese Zahl ist aufgrund Covid-19 und der Teuerungskrise der letzten Jahre wohl noch angestiegen, die aktuelle Problematik rund um die Familienzuzüge ist in dieser Zahl ebenfalls noch nicht berücksichtigt.

Aktuell sind entsprechende Projekte in Österreich noch rar gesät. Das größte noch bis Ende dieses Schuljahres laufende österreichweite Pilotprojekt ist die Initiative „100 Schulen – 1000 Chancen“ des Bildungsministeriums. Über einen Zeitraum von drei Jahren haben 100 Schulen mit schwierigem Standort insgesamt 15 Mio. Euro Zusatzbudget erhalten, das entspricht durchschnittlich rund einem Zehntel des Fördervolumens in Deutschland. Nach Abschluss des Projektes im Sommer 2024/25 werden die Ergebnisse der begleitenden wissenschaftlichen Evaluierung vorliegen.

Bildung wird in Österreich nach wie vor vererbt.

  • 57 % aller Kinder von Eltern mit Universitätsabschluss erreichen einen Hochschulabschluss. Haben die Eltern „nur“ einen Pflichtschulabschluss, so liegt der Anteil bei 7 %.
  • Der Bildungsabstand bzw. die Differenz zwischen sozioökonomisch privilegierten und benachteiligten Kindern ist in Österreich schon sehr früh sehr hoch. Laut Bildungsstandardüberprüfungen liegt die Differenz am Ende der Volksschule zum Beispiel bei Mathematik bei rund drei Schuljahren. Das heißt, ein 9-jähriges Kind von Eltern mit einem Pflichtschulabschluss bräuchte drei weitere Schuljahre, um den Mathematik-Stoff aufzuholen, den ein Kind von Akademiker:innen bereits beherrscht.

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